Systematische Arbeit zum Hauptseminar Ph.
J. Spener, Pia Desideria
bei Prof. Dr. Th. Mahlmann, Universität
Marburg, Sommersemester 1996
Den Begriff . Heiligung. im Titel einer Arbeit im Zusammenhang mit der Theologie Martin Luthers zu verwenden, wird seinem Anliegen im strengen Sinne eigentlich bereits nicht gerecht. Ein Blick in die Schlagwortregister zu Luthers Werken zeigt deutlich, wie selten . Heiligung. etwa im Vergleich zu den Begriffen . Rechtfertigung. , oder . Glaube. verwendet wird.
Daß ich ihn dennoch verwende, liegt zum einen daran, weil er in der Theologie einen bestimmten Sachverhalt beschreibt, wodurch somit auch mein gewähltes Thema hinreichend definiert sein dürfte. Zum anderen bin ich der Überzeugung, daß der Begriffsinhalt in Luthers Denken durchaus existent war, er ihn aber wegen der historischen Gegebenheiten eher vermied, um jegliche Assoziationen an einen Verdienstlichkeitsgedanken auszuschließen. Durch seine Aufrichtung des . sola gratia. gegen die römisch-katholische Lehre wollte er diesen schließlich gerade bekämpfen.
Beim Aufbau der Arbeit schien es mir sinnvoll, im ersten Teil auf die gedanklichen bzw. dogmatischen Setzungen einzugehen, die Luthers Rechfertigungslehre zugrunde liegen und mit dieser untrennbar verbunden sind. Tatsächlich hatte ich im Verlauf der Arbeit aufgrund der zahlreichen Querverbindungen zu anderen Sachkomplexen häufiger den Eindruck, daß das Thema lediglich eine Umschreibung für die . Theologie Martin Luthers. ist.
Aufgrund der Geschlossenheit der lutherischen Theologie ließ es sich deshalb in den einzelnen Abschnitten manchmal nicht vermeiden, die eine oder andere Überschneidung zuzulassen, bzw. Sachverhalte anzureißen, die erst in einem der nachfolgenden Abschnitte behandelt werden sollten.
Im zweiten Teil soll versucht werden, das Thema im engeren Sinne hinreichend darzustellen. Dabei werden die beiden Sachverhalte . Rechtfertigung. und . Heiligung. nicht voneinander getrennt, um Luther besser gerecht zu werden.
Der letzte Teil bringt die zuvor wesentlich mit Hilfe von Lehrschriften erarbeiteten Ergebnisse mit einigen Aussagen aus Luthers paränetischen Werken in Verbindung und versucht, in einem kritischen Vergleich ein grundsätzliches systematisches Problem in gebotener Kürze zu beleuchten. Ein abschließender Exkurs soll eine in der Beschäftigung mit Luther gewonnene Erkenntnis für die praktische theologische Arbeit nutzbar machen.
Ferner sei an dieser Stelle noch eine Auflistung
der Schriften Luthers verzeichnet, die zur Bearbeitung des Themas hauptsächlich
herangezogen wurden:
In Abgrenzung von der scholastischen Tradition, die in der Sünde lediglich einen . Mangel einer Qualität an Willen. sah, also eine Art an der Oberfläche des Menschen liegender persönlicher Charakterschwäche, verstand Luther das Wesen der Sünde als einen vollständigen . Mangel der gesamten Rechtbeschaffenheit und des Vermögens aller Kräfte des Körpers wie der Seele und des ganzen inneren und äußeren Menschen. .
Sünde ist für ihn somit nicht nur Mangel oder Schwäche. Sie hat ihren Sitz vielmehr im Herzen des Menschen und verkehrt seine schöpfungsmäßige Beschaffenheit von Grund auf. Die Sünde ist deshalb nicht Eigenschaft, sondern menschlicher Wesensbestandteil und beeinflußt infolgedessen auch Wille und Verstand, so daß der Mensch mit seinen natürlichen Kräften die Gebote Gottes nicht erfüllen kann.
Luther spricht in diesem Zusammenhang von . peccatum radicale. (Wurzelsünde), weil sie für die gesamte Existenz des Menschen bestimmend ist. Sie beeinflußt . des herzen grund mit allen krefften.. Für das Tun des Menschen bedeutet das, . er habe in jedem Werke soviel von der Sünde, als in ihm die Sünde noch nicht hinausgeworfen ist;. Die Aktualsünden sind also Früchte der Wurzelsünde (. wie der Baum, so die Frucht. ) und werden mit Notwendigkeit hervorgebracht.
Ein vollständiges Hinauswerfen der
Sünde erfolgt jedoch zu Lebzeiten des Menschen nicht, so daß
auch das menschliche Tun nie im strengen Sinne gut sein kann. Es bleibt
also festzuhalten, daß der Mensch nichts wirklich Gutes tun kann.
Sünde heißt für Luther, der
sie als erblich und damit unweigerlich auf jeden Menschen kommend erachtet,
sich selbst an die Stelle Gottes setzen zu wollen, Gott nicht Gott sein
zu lassen. Sie ist Ichwille, Selbstliebe, Selbstanbetung, Hochmut und Selbstrechtfertigung.
Die Sünde ist durch ihre Verwobenheit mit dem menschlichen Wesen auch für den Willen die konstituierende Größe, denn . der freie Wille...[ist]...mit seinem Willen und seiner Vernunft in dieser Sünde gefangen. . Luther geht sogar soweit, zu behaupten: . Wenn der freie Wille tut, was an ihm ist, so begeht er eine Totsünde..
Die menschliche Situation entspricht der eines Reittieres: Entweder der Mensch wird vom Teufel geritten oder aber von Gott. . Wenn der Teufel darauf sitzt, so will und geht er, wie der Teufel will, und es steht nicht in seinem Belieben, zu einem der beiden Reiter (sessorem) zu laufen, ..., sondern die beiden Reiter streiten darum, ihn zu erlangen oder zu besitzen.. Der Mensch bleibt so lange in der Macht des Teufels, und kann aus sich heraus nichts daran ändern, bis er . durch Gottes Kraft herausgerissen [wird].. Wie auch Joh. 6, 44 sagt: . Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater. .
Wird der Mensch nicht durch die Gnade Gottes gerettet, ist . der freie Wille nichts als ein Knecht der Sünde, des Todes und des Teufels.. Fehlt ihm der Wille zum Guten, so steht es auch nicht in seiner Macht, gut zu handeln: . Sünder aber sind böse Bäume, und können nichts als sündigen und böse Früchte bringen..
Daß die Kraft des menschlichen Willens im Bezug auf seine Erlösung überhaupt nichts vermag, betont Luther ganz ausdrücklich in seiner Auseinandersetzung mit der . Diatribe. von Erasmus. Indem er Erasmus. These aufgreift, nach der der menschliche Beitrag zu Gottes Erlösungshandeln zwar sehr gering, dennoch aber existent sei, schreibt Luther: . Wenn die Gnade Gottes nun nicht da ist, oder geschieden wird von jener ganz geringen Kraft, was kann diese dann thun? Sie vermag nichts (sagst du), und tut nichts Gutes; ...was ist eine Kraft, die nichts vermag, anders, als durchaus gar keine Kraft?.
Möchte Luther auch Seligkeit und Verdammnis als allein dem Willen Gottes anheimstehende Dinge wissen, ohne deren Geltung dem Heilswerk Christi keine entscheidende Erlösungswirksamkeit zukäme und ohne das der Mensch niemals völlige Heilszuversicht haben könnte, so gesteht er doch außerhalb dieser dem menschlichen Willen eine relative Freiheit zu, wenn Luther auch nachweislich in diesen . niederen Dingen. grundsätzlich von der Determiniertheit des menschlichen Lebens überzeugt ist.
Da für Luther feststeht, daß dem menschlichen Willen das Aufnehmen einer Beziehung zu Gott nicht möglich, und damit auch der Erwerb des Glaubens vollständig auf den freien Willen Gottes angewiesen ist, Luther also einen Synergismus radikal ausschließt, stellt sich nun die Frage, inwieweit der Mensch in Luthers Theologie überhaupt in das Handeln Gottes miteingebunden ist.
Daß der Alleinwirksamkeit Gottes ein Miteingebundensein des Menschen gegenübersteht, entspricht Luthers Überzeugung, was er in der Frage ausdrückt: . Warum thuts got nit allein und selber, ...?. Es muß also eine - wenn auch nur relative - Willensfreiheit des Menschen geben, die nun insbesondere auch, was den Zusammenhang von Glaube und Werk angeht, untersucht werden soll.
Da Luther Werke als natürlich aus dem Glauben erwachsend erachtet, wie ein guter Baum natürlich gute Früchte hervorbringt, ist der glaubende Mensch, was das Hervorbringen von Werken angeht, tatsächlich einer Art . Unfreiheit. ausgesetzt. Sinnvoller ist es hier allerdings, von . innerer Notwendigkeit. zu sprechen, durch die der Gerechtfertigte nicht die Freiheit hat, das Wirken zu unterlassen.
Wenn nun der Mensch in jeder Hinsicht so völlig unfrei ist, wenn die Werke vom Glauben abhängig sind und der Wille von der Sünde gefangen, wo ist da noch Platz für ein Zusammenwirken, für einen letzten Rest freiheitlicher Eigenständigkeit?
Luthers Verständnis von den positiven Möglichkeiten des menschlichen Willens liegt zunächst einmal die Feststellung zugrunde, daß ein gezwungener Wille kein Wille mehr ist, da es seinem Wesen das ureigenste . Sein. entzieht, sobald er gesteuert bzw. gezwungen wird. Vielmehr folgt der Mensch . non invitus. (nicht ungern/willig) dem übermächtigen Willen Gottes. Das heißt aber, daß der menschliche Wille durch Gott wohl determiniert, aber nicht gezwungen ist.
Das ist bedingt vergleichbar mit der genetisch festgelegten Veranlagung des Menschen: Zieht z. B. ein bestimmter Mensch das Bier dem Saft vor, so geschieht dies aus freien Stücken. Dennoch ist diese Entscheidung durch den Einfluß der Genetik auf die persönlichen Vorlieben bereits in gewisser Weise vorweggenommen. - Genauso kann der Mensch auf dem Weg zu dem von Gott festgelegten Endziel aus seinem inneren Willen heraus selbständig handeln, ist aber durch eben dieses Endziel determiniert.
Indem Luther eine . necessitas infallibilis ad tempus. annimmt, jede Handlung ihrem Zeitpunkt nach also genau vorherbestimmt ist, dem Willen des Menschen allerdings innerhalb dieser Zeitspanne freie Hand gelassen ist, sieht Luther das Problem von Freiheit und Unfreiheit des Menschen nicht vorwiegend kausal oder ontisch, sondern temporal: Als gebunden in der Stunde, auf die hin jedes Werk getan werden soll, als frei aber im Spielraum der Zeit, die dem Werk bis zur Stunde gegeben ist.
Um das freiheitliche Moment des Willens bezüglich Glaube und Werk darzustellen, ist ein kurzer Vorgriff auf Luthers Unterscheidung von . Gnade. und . Gabe. notwendig: In der Latomus-Schrift werden dem . pax cordis. (Friede des Herzens) auf der Externa-Ebene die . bona opera. (die guten Werke) auf der Interna-Ebene gegenübergestellt, obwohl man doch annehmen sollte, daß der pax cordis als etwas dem Menschen zugehöriges zu den Interna zählt. Daß dem nicht so ist, liegt daran, daß die Unterscheidung . Externa/Interna. nicht so sehr einen Transzendenz/Immanenz-Gegensatz, sondern vielmehr das zeitliche . davor. des göttlichen Handelns gegenüber dem Aktivwerden des Menschen bezeichnet. Gottes Wirken geht dem Wirken des Menschen immer voraus, wie Johannes schreibt: . Laßt uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt..
Der Christ tritt deshalb immer schon als getrösteter in den Kampf. Darin besteht seine christliche Freiheit. Die Freiheit vom und zum Werk, die Freiheit vom Gesetz, die aus dem Evangelium gewonnen wird. Die aus dem pax cordis begründete Freiheit stellt sich nun dar als Anteil des Menschen an der Freiheit Gottes, hinsichtlich der wir vorher ein sehr enges, an Unfreiheit erinnerndes Aneinandergebundensein von Glaube und Werk konstatierten.
Der
Wille des Menschen und der Wille Gottes sind nun
gleichgerichtet. Das Tun wird . leicht, zwanglos, ungefordert und frei..
Luther kann deshalb sagen: . Wenn Gott in uns wirkt, so will und
tut der Wille, durch den Geist Gottes zärtlich angefacht, gewandelt
wiederum aus reiner Bereitwilligkeit und aus eignem Antrieb, nicht gezwungen
....
Die Freiheit des Menschen besteht nicht in
der des Willens, sondern in der von der Sünde. Christliche Freiheit
ist nicht die Freiheit dieses zu tun und jenes zu lassen, sondern es ist
die Freiheit zum Willen Gottes.
Da der Glaube im Zentrum der lutherischen Rechtfertigungslehre steht, sind an dieser Stelle noch einige ausführende Erläuterungen zum Glaubensverständnis Luthers anzufügen:
Man kann bei Luther nicht von . Glauben. sprechen, ohne das . Wort. (Gottes) zu nennen, da es für ihn in einem ganz engen Wechselverhältnis steht: Zunächst ist zu bemerken, daß das Wort auf zwei Ebenen gleichzeitig wirkt: Es spricht seine Wahrheit als äußerliches Wort in das Ohr, durch den Heiligen Geist darüber hinaus in das Herz des Menschen hinein: . ..., das der glaube nicht auffgehen mage, denn durch den heiligen Geist, und dasselbige doch nicht one dz eusserliche wort ...Denn Gott wirt nicht zu dir in dein kemerlein kommen unnd mit dyr reden..
Im Gegensatz zu den Spiritualisten meint Luther nämlich, daß sich Gottes Geist ganz an das äußerliche Wort menschlicher Verkündigung bindet. Das bedeutet allerdings nicht, daß aus dem Hören der Wortes der Geist notwendig empfangen wird. Der Verkündiger verfügt nicht über den Geist, wenn er predigt. Ob das Wort die Zuhörer trifft, entscheidet allein Gott: . ..., denn allein Gott, der muß im Herzen reden, sonst wird nichts draus..
Es ist auch möglich, daß ein Wort zunächst nur äußerlich gehört wird und es erst später vom Heiligen Geist aufgegriffen wird, um es . ym hertzen zu erynnern und auffzublasen, obs gleich fur zehen iaren gehoret were..
Ging es bisher um die Glaubensaneignung, bzw. auf welchem Wege der Glaube entsteht, ist nun die Qualität desselben zu bestimmen. Glaube hat für Luther eine mehrdimensionale Gestalt: Er ist zum einen eine erkenntnismäßige Größe, weil er als eine menschliche Gewißheit ein Objekt bzw. einen Inhalt haben muß. Christus, das Objekt des Glaubens, ist aber zugleich auch Subjekt, d. h. Urheber und Schenker des Glaubens. Somit ist der Glaube in uns lebendig, er ist . ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt und neu gebiert aus Gott ...und tödtet den alten Adam, macht uns ganz andere Menschen von Herzen, Muth, Sinn und allen Kräften und bringt den Heiligen Geist mit sich..
Ohne diesen gottgeschenkten Glauben, der den gegenwärtigen Christus in sich hat, ist der Glaube ein rein menschlicher Glaube, lediglich eine intellektuelle . qualitas in corde. , die sich allenfalls in der Historie auskennt und theoretisch um den Medialcharakter des Glaubens als einer rechtfertigenden Kraft weiß.
Echter
Christusglaube ist für Luther derjenige, .
welcher sich unter die Flügel Christi verbirgt. , welcher
dem Wort der Verheißung anhangt und weiß, daß er über
seinen Glauben nicht verfügt, sondern daß Christus Objekt, Subjekt
und schützender Garant seines Glaubens ist. Sieht man den Menschen
in einer solchen Abhängigkeit zu Christus stehen, kann man auch nicht
mehr den Fehler begehen, den Glauben als Voraussetzung der Rechtfertigung
für ein Werk zu halten, welches der Mensch als Eigenleistung hervorbringt.
Die von Luther neu erschlossene Erkenntnis der iustitia die (Gerechtigkeit Gottes) ist der Ausgangspunkt der reformatorischen Lehre. Diese Erkenntnis setzte sich in dem Moment durch, als er die iustitia die nicht mehr allein als Eigenschaft Gottes verstand, die den Sünder als Maßstab des göttlichen Gerichts noch viel vernichtender treffen mußte, als das Gesetz dies ohnehin schon tat. Sondern er erkannte, daß . die Gerechtigigkeit Gottes ...nicht die sei, nach der Gott selbst gerecht ist, ...sondern, ...die Gerechtigkeit, mit der er den Menschen bekleidet, indem er ihn rechtfertigt, nämlich die rechtfertigende Barmherzigkeit oder Gnade selbst, durch die wir bei Gott gerecht geachtet werden..
Zu diesen Aussagen war er durch das Studium von Römer 1,16f - in seinem sogenannten . Turmerlebnis. - gekommen, als er erkannte, daß die iustitia die und das iustus des Gerechten dieselbe Gerechtigkeit ausdrücken, so daß Heil und Leben des Gerechtfertigten gerade in und durch die iustitia die garantiert sind.
Das bedeutet nun aber, daß diese Gerechtigkeit außerhalb des Menschen fußt und insofern nicht für ihn verfügbar ist. Sie bleibt Gottes Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit, die dem Menschen durch Imputation übermittelt wird. Luther grenzt sich durch diese Aussagen von der scholastischen . Infusionslehre. ab, nach der dem Menschen ein göttliches Gnadengeschenk zuteil werde, das fortan in Form einer .qualitas animi. dem Menschen als heiligende Kraft zur Seite stände.
Die Unverfügbarkeit dieser Gerechtigkeit macht Luther auch durch den Begriff .iustitia aliena.deutlich, um das . außerhalb-vom-Menschen. und die Tatsache, daß diese Gerechtigkeit lediglich eine von Gott verliehene ist, zu betonen. Sie ist die Gerechtigkeit, . nach der Gott gerecht ist, so daß durch ein und dieselbe Gerechtigkeit beide, Gott und wir, gerecht seien, ...,so daß wir in ihm sind, und sein Sein unser Sein ist..
Gerade der letzte Nebensatz, daß . sein Sein unser Sein ist. , zeigt, daß der Mensch mit der iustitia aliena nicht nur eine bloße Eigenschaft erhält, wie man etwa einen Titel verliehen bekommt, sondern daß diese auch Einfluß auf seine Existenz nimmt. Luther sagt deshalb: . Denn der Weg Gottes ist die Gerechtigkeit Gottes, in welcher man leben und wandeln muß, nicht auf unserem Wege oder in unserer Gerechtigkeit.. . Es ist aber der Weg Gottes, weil er, wie er Leviticus 26, 12 sagt, in uns wandelt, das heißt, in uns wirkt, in uns lebt, in uns redet..
Indem Luther dies sagt, macht er Gott zum allein Handelnden und versetzt den Menschen, was seine Rechtfertigung angeht, in eine absolut passive Rolle. Er bricht somit entgültig mit dem kooperatorischen Denken der römisch-katholischen Lehre. Was das Verhältnis von Glaube und Rechtfertigung angeht, heißt es nun nicht mehr: Weil der Mensch glaubt, wird er gerechtfertigt. Sondern: Indem der Mensch glaubt, ist er gerechtfertigt. Der Glaube ist die Rechtfertigung, er empfängt sie nicht erst.
Der Begriff der iustitia dei ist nun im folgenden in seiner Beziehung zum Menschen noch weiter zu spezifizieren: Die iustitia dei, die dem Menschen in Form des Glaubens zuteil wird, wirkt in zwei Linien auf ihn, nämlich in der Gnade (gratia) und in der Gabe (donum). Zu deren Funktion schreibt Luther: . Der Gerechte und Gläubige hat ohne Zweifel Gnade und Gabe: die Gnade, welche ihn ganz angenehm macht, daß die Person durchaus wohlgefällig ist, ..., die Gabe aber, welche ihn heilt von der Sünde und seinem ganzen Verderben an Seele und Leib..
Durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt. Und das in einem doppelten Sinne, entsprechend der Doppelbedeutung des lateinischen iustificare: Zum einen wird der Glaubende punktuell für gerecht erklärt. Seine Gerechtigkeit ist ihm von Gott zugerechnet, und damit steht er nicht mehr unter seinem Zorn. Zum anderen erfolgt die Rechtfertigung auch als eine prozeßhafte . Gerechtmachung. , die verwandelt und erneuert.
Wichtig ist hier, daß die Gerechtigkeit des Menschen nur eine zugerechnete ist, die er aufgrund der iustitia die für sich in Anspruch nehmen darf. Aber der Mensch ist nicht faktisch gerecht, sondern immer nur im Gerechtwerden begriffen. Es ist eine . angefangene Gerechtigkeit. , die durch die Gabe allerdings permanent vorangetrieben wird. Der Mensch befindet sich gleichsam in einem Gesundungsprozeß: . Alles ist durch die Gnade vergeben, aber noch nicht alles gesund durch die Gabe.. Die Funktion der Gabe ist es, daß sie . die Sünde auskehre, welche der Person schon vergeben ist..
Dennoch steht der Mensch vor Gott aufgrund der Gnade als ganz und gar Gerechter da: . Ob nun wohl die Gaben und der Geist in uns täglich zunehmen, und noch nicht vollkommen sind, daß also noch böse Lüste und Sünde in uns überbleiben, welche wider den Geist streiten, ..., so tut doch die Gnade so viel, daß wir ganz und für voll gerecht vor Gott gerechnet werden.. Denn die Sünde ist wohl noch da, wird aber vor Gott nicht mehr wie Sünde behandelt. Sie ist . Sünde ohne Zorn. , . unschädliche Sünde. , . ...nur muß man in seiner Gnade und Gabe beharren..
Hierin liegt der Wurzelgrund von Luthers .simul iustus et peccator. : Wegen seiner Fleischlichkeit sündigt der Mensch noch. Weil aber sein Herzensgrund auf Christus vertraut, weil er Christi Gerechtigkeit zu seiner Gerechtigkeit macht, ist er nicht mehr unter der Sünde und erfüllt sogar das Gesetz. So ist er zugleich Sünder und Gerechter. Luther warnt in diesem Zusammenhang auch davor, die . Heiligen. nach ihren äußerlichen Werken einzuschätzen. Vielmehr macht für Luther Christi Werk erst den Menschen heilig: . Heilig sind also alle, die an Christum glauben, ....
Daß es sich bei Gnade und Gabe nicht um zwei nebeneinanderlaufende Prozesse, oder gar um eine doppelte Rechtfertigung handelt, veranschaulicht Luther am Beispiel vom Arzt und vom Kranken, auf die er die Situation des sündigen Menschen vor Gott überträgt: Ein Arzt gibt dem Kranken die Verheißung, daß er ganz sicher gesund werde. Der Patient glaubt nun dem Arzt und hält sich genauestens an dessen Anweisungen, um den Prozeß der Gesundung in keiner Weise zu gefährden. Nun ist dieser Patient krank und gesund zugleich: Krank in der aktuellen Wirklichkeit, gesund aber aufgrund der gewissen Verheißung des Arztes.
Wie in diesem Beispiel Verheißung und Gesundung in einem unauflöslichen Verhältnis zueinander stehen, solange der Patient dem Arzt Glauben schenkt, so wächst auch der Gerechtfertigte unweigerlich in der Heiligung, d. h. seine Gabe nimmt zu, wenn er Gott glaubt.
An anderer Stelle drückt Luther am Bild vom barmherzigen Samariter die Einheit von Gerechtsprechung und Gerechtmachung, von Rechtfertigung und Heiligung aus: . Sie verhalten sich wie Mittel und Zweck.. - Gott tut dies, wie der barmherzige Samariter den Kranken auf sein Reittier legt, um ihn zu heilen. Ohne diese Absicht machte auch das Aufnehmen keinen Sinn.
Davon abgesehen ist die Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Gerechtmachung für Gott auch nicht wirklich relevant: Für Ihn als den . Zeitlosen. ist das Beabsichtigte in dem Moment Realität, wenn er es wünscht. Zwischen Gedanke und Schöpfung ist im Sinne einer zeitlichen Abfolge bei Gott nicht zu unterscheiden. Die Erneuerung des Menschen ist für IHN im Moment der Rechtfertigung bereits vollendet.
Gott sieht in dem Sünder, den er rechtfertigt, bereits den Gerechten. Darum kann Luther auch ebenso gut sagen, . Gott rechtfertige den Sünder. wie, . Gott rechfertige den Gerechten. . Mit anderen Worten: Als jenseits der Zeit stehend, kann Gott sowohl synthetisch als auch analytisch urteilen, ohne in Widerspruch zu geraten.
Um dem gerecht zu werden, reduziert Luther seine Rechtfertigungslehre nicht auf eine simple . forensische. oder . effektive. sondern umgreift beides in der Erkenntnis, daß der Christ nicht ein fertiges Produkt, sondern permanent im Entstehen begriffen ist. Die christliche Lehre ist nicht Sache des Seins, sondern Sache des Werdens, nicht Gerechtigkeit, sondern Rechtfertigung, nicht Gesundheit, sondern Heil(ig)ung.
Auf der anderen Seite weiß Luther den Glaubenden schon unter das . Gerecht. gestellt, ein Wissen, daß es ermöglicht, den Werdensprozeß gelassen zu durchleben, denn das Entscheidende ist durch den barmherzigen Gott schon geschehen. Der Glaubende erkennt sich selbst von Grund auf als Sünder und flüchtet sich in der fides Christi (im Christusglauben) unter Christi Gerechtigkeit, . unter die Flügel der Gluckhenne. (s.o.). Dadurch ist er bei Gott gerechtfertigt und steht gleichzeitig in der Heiligung, da die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit mit der Buße einhergeht.
Man kann hier wieder die Zweidimensionalität
des Glaubens erkennen: Den Glauben auf der Objektebene: Der Mensch stellt
sich unter Christi fremde Gerechtigkeit und ist gerechtfertigt. Und den
Glauben auf der Subjektebene: Christus fegt durch die gewirkte Buße
die Sünde aus dem Menschen aus und sorgt so für dessen persönliche
Gerechtigkeit.
So können wir sagen: Rechtfertigung und
Heiligung sind verschiedene Aspekte (oder auch verschiedene Darstellungen)
ein und desselben Werkes Gottes: Die Betonung liegt im Falle der Rechtfertigung
auf der Vergebung, im Falle der Heiligung auf der Erneuerung des Lebens.
Wie im vorherigen hinreichend erörtert, ist der Glaube nun gerade nicht plattes Ideologisieren, Verwalten einer einmal ergriffenen Wahrheit, oder verfügbarer Seelenzustand. Sondern es ist der lebendige Christus selbst, der im Menschen wirkt. Hier geht es nicht um Statik, sondern um Dynamik. Erkennbar wird dies an der . ...Buße [,welche] ...die Aenderung der Verderbniß und beständige Erneuerung von der Sünde ist, welche der Glaube wirkt, ....
Luther stellt diesen Vorgang mit Hilfe des Gleichnisses vom Sauerteig aus Mt. 13 dar: . Der neue Sauerteig ist Christus, das Wort Christi, ...[und] ...der Glaube ...ist gleichsam ein Verbergen des Sauerteigs und eine Art Vermengung (...) des Wortes Gottes mit unserer Seele. Der Glaube bringt das zuwege, daß er das Fleisch kasteie, die Sünde zerstöre, den alten Sauerteig ausfege, so daß er allein in allen Gliedern regiert und das Ganze durchsäuert..
Indem Christus selbst in das Leben des Glaubenden tritt und dessen Sünde und Unvollkommenheit durch seine Gegenwart austreibt, erweist sich der rechtfertigende Christusglaube als die anfangende und zunehmende persönliche Gerechtigkeit des Sünders und damit quasi als Beginn der Heiligung. Und weil es der Christusglaube ist, der die Macht hat, Sünden auszutreiben, ist der . Fortschritt der Heiligung mit dem Fortschritt des Christusglaubens identisch..
Daß der Glaube am Menschen als permanent gestaltende Kraft wirkt, bringt Luther zum Ausdruck, wenn er sagt: . Darum ist er auch gar ein mächtig, thätig, unruhig, geschäftig Ding, der den Menschen gleich verneuert, anderweit gebieret und ganz in eine neue Weise und Wesen führt, also daß unmöglich ist, daß derselbige nicht sollte ohn Unterlaß Gutes thun..
Die Gerechtigkeit, die durch die Wirkkraft des Glaubens erfolgt, ist allerdings niemals eine vollkommene, sondern immer nur eine werdende. Es ist deshalb für den Glaubenden immer wieder notwendig, sich unter den Schutz der Gerechtigkeit Christi zu stellen: . Denn obgleich er [Gott] uns durch die Gabe des Glaubens gerechtfertigt hat, ..., so hat er doch gewollt, daß wir uns auf Christum stützen, damit wir nicht ohne Festigkeit wären ...; damit auch diese angefangene Gerechtigkeit uns nicht genugsam dünke, wenn sie nicht in der Gerechtigkeit Christi hange und aus ihm fließe;.
Für Luther ist Rechtfertigung immer . profectus. (Fortschritt); sie muß immer neu in der Glaubensgerechtigkeit erstrebt werden. Sobald das aufhört, wird aus der Rechtfertigung in Christus eine fleischliche Selbstrechtfertigung, wird aus der iustitia dei eine iustitia hominum. Das Wissen um die bleibende Sünde treibt zu immer neuem Suchen nach der Gerechtigkeit Christi, da es ein wesentliches Charakteristikum des Gläubigen ist, die Sünde zu hassen. Ziel bleibt es somit zeitlebens, die Sünde . auszukehren. . Jede andere Reaktion nennt Luther . Hurerei. .
In der Bestimmung des Zusammenhanges von Glaube und Werk sah sich Luther stets zwei unterschiedlichen Lagern gegenüber: Auf der einen Seite standen diejenigen, die das menschliche Tun von vornherein für gleichgültig hielten, weil es ja doch keinen Verdienst vor Gott erwerben könne, auf der anderen die Anhänger der römisch-katholischen Tradition mit ihren verdienstlichen Frömmigkeitswerten wie Wallfahrten, Fastenübungen, Rosenkranzbeten und Ablässen.
Eine gegenüber beiden Positionen abgesicherte Stellungnahme bereitet sich vor aus der Bestimmung des Verhältnisses von Gesetz und Glauben zueinander: Luther geht davon aus, daß es dem natürlichen Menschen unmöglich ist, das Gesetz zu erfüllen, weil er von . Herzensgrund dem Gesetze feind. ist. Er erlebt das Gesetz immer nur in Unlust und Zwang und würde, wenn es dieses nicht gäbe, . lieber anders thun. . Dem Gesetz ist aber nur Genüge getan, wenn der Mensch . Lust zum Gesetze gewinnt von Herzen, und hinfort nicht aus Furcht noch Zwang, sondern aus freiem Herzen alles thut.. Einen solchen Sinneswandel kann aber nur der Heilige Geist erwirken, der mit dem Glauben an Jesus Christus in das Herz einzieht. Luther folgert daraus: . Daher kommt. s, daß allein der Glaube gerecht macht, und das Gesetz erfüllt, ....
Im . Sermon von den guten Werken. zeigt Luther dann am Beispiel des Dekalogs ausführlich, daß eine vollständige Erfüllung der Gebote Gottes nur aus dem Glauben heraus möglich ist, und daß umgekehrt ohne Glauben das menschliche Streben an den Geboten Gottes völlig vorbeizielt. So richtet sich für Luther z. B. das Gebot . Du sollst nicht stehlen. gegen alles Suchen nach eigenem Vorteil, was dem Glaubenden deshalb zu halten leichter fällt, weil er sich im Wissen um Gottes Fürsorge nicht darum zu sorgen braucht, was er morgen essen, trinken und anziehen soll. Und . Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten. , das Luther positiv als . Vorantreiben der Wahrheit. paraphrasiert, kann für ihn nur der wider allen menschlichen Widerstand vorantreiben, der sich der Gnade und Gunst Gottes sicher ist und deshalb der Gunst, Gnade, Ehre und des Gutes der Menschen nicht mehr bedarf.
Auf dem ersten Gebot, dessen erstes Werk der Glauben ist, fußt dabei die gesamte Argumentation: Die weiteren Gebote werden aus diesem ersten entwickelt, um zu verdeutlichen, daß alle Werke aus dem Glauben heraus zu geschehen haben.
Dabei wird klar, daß Glaube weder eine Tugend unter anderen, noch ein Seelenzustand ist, sondern das einzige Werk das die Bibel . gut. nennt. Auch sind die Werke nicht um ihrer selbst, sondern um des Glaubens willen wohlgefällig, so wie die großen und kleinen Werke, die ein liebender Ehemann seiner Frau bereitet, nicht für sich absolut stehen, sondern auf seine Liebe zurückverweisen und daraus ihren Wert erhalten.
Es wird also deutlich, daß Glaube und Werk je für sich kein unabhängiges Eigenleben führen, sondern aufs engste miteinander verbunden sind, wobei die Werke aus dem Glauben motiviert sind. Diese Verquickung ist so unauflöslich, . daß [es] unmöglich ist, Werke vom Glauben zu scheiden, ja so unmöglich, als Brennen und Leuchten von Feuer mag geschieden werden..
Verwahrt sich Luther auf der einen Seite aufs schärfste gegen vom Glauben abgekoppeltes Werketun und geht leidenschaftlich gegen damit verbundene Verdienstlichkeitsgedanken an, so betont er auf der anderen Seite bei der Bestimmung des Glaubensbegriffes die Notwendigkeit von Werken: . Er formuliert abgrenzend scharf, . ...daß der Mensch ohne Werke gerecht werde; wiewohl er nicht ohne Werke bleibt, wenn er gerecht worden ist.. Denn . der Glaube [kann] nicht müßig sein, denn er ist nichts anderes als eine mitgetheilte Kraft des Worts, dadurch er stets wird zum Guten getrieben;. Der Glaube ohne Werke hingegen ist ein . schwärmerischer Gedanke, ein bloßer Wahn und Traum des Herzens, ist falsch und rechtfertigt nicht..
Zwischen wahrem und falschem Glauben ist auch im Umgang mit den sündigen Werken zu unterscheiden: . ...diejenigen, so aus Schwachheit sündigen, und sich erkennen und sich sagen lassen, bald bereuen, trägt und leidet Christi Reich wohl, ... Aber daß man es gleich für ein Recht und für Gewohnheit wollte haben, das Gott wohl gefiele, das gilt nicht;.
Abzulehnen ist auch jegliche Form von Werken, die sich vermeintlich
über den Glauben hinaus ihre Gnade verdienen wollen. Man möchte
sich nichts von Gott schenken lassen, indem man . Trost und
Seligkeit suchet in eignen Werken; [und] vermißt sich, Gott den
Himmel abzuzwingen. und die Seligkeit abzukaufen, und ihn dadurch . für
einen Narren ...[zu halten], der sich wie ein Kind mit einem Zahlpfennig
äffen oder täuschen lasse. .
Solches
Verhalten beweist, daß das Gnadengeschenk Gottes weder
erkannt, geschweige denn angenommen wurde. Denn . ein bißchen. von
der Gnade abhängen kann man genausowenig, wie . ein bißchen.
tot sein. Entweder man verläßt sich ganz auf die Gnade Gottes
und bringt in Zuversicht und Dankbarkeit Werke hervor, oder man tut es
eben nicht und bleibt somit notwendig der von Gott verurteilten Selbstgerechtigkeit
verhaftet.
Vergleicht man Luthers Streit- und Lehrschriften mit seinen homiletischen Werken (bspw. Predigten), so fällt auf, daß sein klarer dogmatischer Ansatz nicht die konsequente Anwendung in seinen Predigttexten erfahren hat, wie man es vielleicht erwarten würde.
Ist die menschliche Seele in de servo arbitrio wesentlich Austragungsort des Machtkampfes zwischen Gott und Teufel (s.o.) und dem Menschen jedes Mitwirken an seinem Heil verwehrt, so zeichnet sich in den Homilien ein anderes Bild: So heißt es in einer Wochentagspredigt über 1. Thes. 4, 1-8: . Nunmehr ist es der Wille Gottes, daß ihr euch heiligt, .... Oder an anderer Stelle: . Denn der Glaube ist eine sehr große Sache, wird aber nur durch Übung, Geduld, Anfechtung und Anhalten [practica] gelernt..
Wie läßt sich die erstaunliche Verantwortlichkeit des Glaubenden verstehen, die in der Weise vorher so nicht zum Ausdruck kam? Der Glaubende ist in die Pflicht genommen und soll das, was er von Gott geschenkt bekommen hat, nähren und zu seiner Ausbreitung beitragen: . Wie das Herz erneuert ist durch den Glauben, ...so soll der Leib [gereinigt werden von aller Befleckung des Fleisches]. Darum soll dieses Leben eine Übung sein, die Sünde aus dem Leib zu fegen und Gottes Gebote zu erfüllen..
Das optimistische . Gott oder Teufel. aus de servo arbitrio, das aus der Gottesperspektive sogar stimmen mag, da für Gott im Moment der Erwählung die Errettung des Menschen bereits beschlossen ist (s.o.), ist jetzt um einige . Grauschattierungen. erweitert. Das wechselvolle Glaubensleben, das sich tagtäglich gegen die Anfechtungen der Sünde erwähren muß, findet nun Berücksichtigung.
In diesem Zusammenhang ist auch zu fragen, warum Luther so betont darauf hinweist, daß, nachdem wir . durch den Glauben gerecht worden. sind, . wir nicht ohne gute Werke leben ...[sollen.]. Beschreibt er den Glauben doch an anderer Stelle als ein . lebendig, schäftig, thätig, mächtig Ding ..., daß es unmöglich ist, daß er nicht ohne Unterlaß sollte Gutes wirken.. Folgten die Werke tatsächlich so automatisch aus dem Glauben, daß es . unmöglich ...[wäre], Werke vom Glauben [zu] scheiden, ..., als Brennen und Leuchten vom Feuer mag geschieden werden. , wäre es überflüssig, sie ausdrücklich zu fordern.
Daß Luther dies trotzdem tut, liegt daran, daß das dogmatische Reden vom Glauben einen reinen Glaubensbegriff bezeichnet, der in der seelsorgerischen Praxis keine wirkliche Entsprechung findet. Er weicht in der Paränese deshalb vom sterilen . Model-Glauben. ab, den er zwecks Abgrenzung in seinen Streitschriften konstruieren muß, um über das Wesen des Glaubens zu disputieren. In der Paränese dagegen kommt es lediglich auf die tatsächliche Glaubenswirklichkeit des Einzelnen an, der sich nicht mit hären Ideen beschäftigt, sondern Glauben wesentlich als angefochtenen Glauben erlebt. Praktische Theologie muß deshalb dem ständigen Kampf des Christenmenschen gegen die Sünde Rechnung tragen.
Dabei handelt es sich um ein ganz wesentliches Problem systematischer Theologie: Was in der dogmatischen Theorie durch abstrakte Begrifflichkeiten scharf und eindeutig formuliert werden kann und sich überdies im geschlossenen System als stringend erweist, kann sich dennoch im Seelsorgealltag angewandt als nicht praktikabel erweisen, weil die definierten abstracta den Realien nicht vollständig Rechnung tragen. - Das übliche Problem axiomatischer Systeme, innerhalb derer sich mit den definierten Komponenten trefflich rechnen läßt, was aber durchaus offenläßt, daß sich das jeweilige System bei Korrektur von außen als hinterfragungswürdig erweist.
Wurde bereits konstatiert, daß der Mensch sich seinem Glauben gegenüber nicht ausschließlich empfangend passiv verhält, so ist darüber hinaus anzumerken, daß Luther sogar eine Art .tertius usus legis.auf die christlichen Werke anwendet, um den Glauben zu . trainieren. : . Von Werken sagen wir also: man solle sie thun, den Leib zu zwingen und zähmen, daß er nicht zu muthwillig, geil und faul werde.. Darauf ist, wie auch schon vorher, fragend anzumerken, wozu der Glaubende all diesen Aufwand treiben soll, wenn der Glaube mit all seinen Konsequenzen allein Gottes Werk ist.
In dieser Frage muß auch eine Kritik an Luther ansetzen: In de servo arbitrio, wo Luther den Zusammenhang des menschlichen Glaubens mit Gottes Wirken erörtert, nimmt er in der Abgrenzung gegenüber Erasmus einen so radikalen Standpunkt ein, daß m. E. nur eine Seite der biblischen Rede vom Tun des Menschen im Bezug auf seinen Glauben gedeckt wird. Daß Luther über die andere Hälfte so großzügig hinweggeht, dort nämlich, wo von der menschlichen Verantwortlichkeit gegenüber dem von Gott gewirkten Glaubensheil gesprochen wird, ist schon ziemlich verwunderlich.
Eine Luthers Ansatz relativierende Darstellung läßt sich sehr gut an einer Philipper-Passage (Phil 2, 12f.) verdeutlichen, die Gottes Wirken und das menschliche Handeln zueinander in Beziehung setzt: . ...schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist. s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.. Es ist von der Verantwortlichkeit des Glaubenden die Rede, der als von Gott Beschenkter diesen Glauben nähren und zu dessen Vergrößerung beitragen soll.
Entscheidend ist dabei, daß die Schrift hier darauf verzichtet, ein polares System aufzubauen, indem Gott und Mensch jeweils ein voneinander abgegrenztes Handlungsfeld zugewiesen wird. Vielmehr wird großzügig darüber hinweggegangen, indem mit einem simplen . denn. beide Handlungsstränge integriert werden. Die Schrift wendet sich damit gegen die Existenz eines polaren Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. Jenes Verhältnis, das Luther und Erasmus durch Beziehung gegensätzlicher Standpunkte gerade herstellen und definieren wollten, indem sie jegliches Geschehen zwischen Gott und Mensch als entweder . menschlich. oder . göttlich. zu kategorisieren gedachten.
Eine solche Abgrenzung ist aber schon deshalb nicht möglich, weil das Wort im Glaubensprozeß in verschiedenen Dimensionen auftritt, nämlich als zu Glaubendes und als Glauben wirkendes (s.o.). In welchem Maße und wo genau der Mensch in den Glaubensvorgang hineingenommen wird, was er tut und was Gott tut, ist deshalb m. E. nicht zu bestimmen. Dem Systematiker bleibt an dieser Stelle deshalb wahrscheinlich nur das zweifelsohne unbefriedigende Ergebnis, daß Gott in und durch uns wirkt.
Von Seiten der lutherischen Orthodoxie ist häufig die Kritik ergangen, daß der pietistische Aufruf zur Bekehrung nach dem Glaubensverständnis, wie es Luther prägte, nicht akzeptabel sei, da es nicht in der Kraft des Menschen läge zu glauben, sondern dies allein von Gottes Einwirken auf den Menschen abhinge.
Obwohl der Einwand stimmt, ist doch die daraus gezogene Konsequenz nicht richtig. Das liegt daran, daß Gottes Wort, wie schon beschrieben, nicht allein zu glaubendes, sondern auch Glauben wirkendes ist: Indem der Mensch den Ruf der Bekehrung in der Verkündigung des Evangeliums vernimmt, ist ihm auch die Kraft geschenkt, diese Bekehrung zu vollziehen. Mag es dem Einzelnen vielleicht sogar subjektiv so erscheinen, daß er diese Entscheidung aus sich selbst heraus getroffen habe, so ist es doch letztlich Gott, der ihn durch seine Kraft, . die selig macht. , zu sich zieht.
Wichtig ist allerdings, daß der Bekehrungsruf
auch wirklich an die Verkündigung des Evangeliums geknüpft ist.
Sonst verliert er die Verbindung zur Kraft des Wortes, und öffnet
der unseligen Schwärmerei Tür und Tor.
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